Im Buch Paranormale Behauptungen auf dem Prüfstand – Von Wünschelruten, Elektrosmog und Parapsychologie (https://www.google.com/search?q=978-3-662-69898-3) erzähle ich einige Anekdoten aus der Welt des Spiritismus, der im 19. Jahrhundert boomte. Für etliche Anekdoten war jedoch kein Platz mehr im Buch, weswegen ich sie hier präsentieren werde. Um das große Geheimnis gleich vorweg zu verraten: Kein einziges spiritistisches Medium konnte je einen rigorosen Test bestehen.
Allan Kardec (Public Domain).
Der französische Pädagoge und spätere Spiritist Hippolyte Léon Denizard Rivail genannt Allan Kardec (1804 – 1869) stand dem Spiritismus anfangs skeptisch gegenüber. Er studierte Naturwissenschaften und Philosophie beim Schul- und Sozialreformer Johann H. Pestalozzi (1746 – 1827) in Yverdon, Schweiz. 1828 kaufte er eine Pariser Bildungseinrichtung für Knaben und unterrichtete Mathematik, Physik, Chemie, Astronomie, Humanbiologie, vergleichende Anatomie und Französisch.
Doch es kam dazu, dass er den Kardecismus, eine Lehre, die auf Spiritismus und Reinkarnation basiert, begründete. Als er sich überreden ließ, an einer Tischrücken-Sitzung teilzunehmen, sah er, wie der Tisch scheinbar wie von selbst hin- und herrückte und sich in die Luft erhob. Er war auch von den Vorführungen der Fox Sisters begeistert; jedoch war er bereits tot, als Margaret Fox (1833 – 1893) ihre Schwindeleien zugab. Kardec war verblüfft und vermutete, dahinter stecke ein bislang noch unentdecktes Naturgesetz und beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Über die Aufklärung des Schwindels der Fox Sisters könnt Ihr in meinem Buch erfahren!
Da Kardec selbst kein Medium war, verfolgte er folgenden Ansatz: Er stellte eine Liste von Fragen zusammen und suchte sich einige Medien, die diese Fragen angeblich den Geistern zu stellen vermochten. Seine Fragen waren z. B.: „Was ist ein Geist?“ Die Antwort, die er erhielt, lautete, dass Geister die immateriellen Seelen von verstorbenen Menschen seien, die sich nach dem Tod vom physischen Körper gelöst haben und allein weiterexistieren. „Sind Geister von reiner Materie?“ Geister besitzen keine grobe Materie, sondern seien aus einer feineren, immateriellen Substanz, die wir Menschen nicht wahrnehmen können. „Was ist der Zweck des menschlichen Lebens?“ Das Leben auf der Erde sei eine Prüfung und ein Lernprozess, der es der Seele ermögliche, durch Erfahrungen und moralische Entwicklung Fortschritte zu machen. „Was passiert mit der Seele nach dem Tod?“ Diese zentrale Frage führte zu der Antwort, dass die Seele in eine andere Existenzform übergehe, weiterhin bestehe und sich weiterentwickle, basierend auf dem Verhalten und den Handlungen im irdischen Leben. Kardec wollte folglich auch wissen, wie sich irdische Taten auf das Schicksal der Seele auswirken und stellte Fragen zu Moral und Ethik: „Wie beeinflusst das Verhalten auf Erden das Leben nach dem Tod?“ Gute Taten und moralisches Handeln erheben die Seele auf eine höhere Entwicklungsstufe, während egoistisches oder schlechtes Verhalten negative Konsequenzen habe. „Gibt es eine Hölle oder ewige Verdammnis?“ Kardec stellte diese Frage, um herauszufinden, ob die traditionellen christlichen Vorstellungen von Himmel und Hölle der Realität entsprechen. Die Antwort war, dass es keine ewige Hölle gebe, sondern dass die Seelen, die falsch gehandelt haben, die Möglichkeit zur Weiterentwicklung und Besserung haben.
„Was ist Gott?“ „Sind die Sterne und Planeten bewohnt?“ „Reinkarnieren Seelen?“ „Wie oft muss eine Seele reinkarnieren?“ Am besten, man fragt einen generativen vortrainierten Transformer, doch Kardec bzw. die damaligen Medien hatten nur feinstoffliche Techniken wie Tischrücken oder Schreibbretter zur Verfügung.
Kardec begann, immer differenziertere und komplexere Fragen zu stellen, die eine rationale Analyse der Antworten ermöglichten. Dieser methodische Ansatz half ihm, sich ein Bild von den Phänomenen zu machen und sie ernsthaft zu untersuchen. Doch da Kardec ein kritischer Geist war, fragte er auch, warum die Geister manchmal auch falsch oder widersprüchlich antworteten. Ihm wurde erklärt, dass nicht alle Geister gleich fortgeschritten seien und einige Geister absichtlich irreführen oder sich über Menschen lustig machen könnten. Diese Geister seien weniger entwickelte, niedrige Geister.
Allmählich erkannte Kardec, dass es sich bei den Antworten, die durch die Medien übermittelt wurden, um mehr als bloße Zufälle oder Einbildungen handeln musste. Es war die Kohärenz und Logik der geäußerten Botschaften, die ihn schließlich überzeugten, dass hier eine reale und noch nicht verstandene Kraft am Werk war. Kardec nahm schließlich an, dass die Antworten von nicht-materiellen Wesen stammen könnten, die von den Medien als Vermittler genutzt würden. Seine anfängliche Skepsis verwandelte sich in eine ernsthafte Untersuchung und schließlich in Überzeugung. Kardec blieb jedoch weiterhin ein kritischer Denker und entwickelte den Spiritismus als eine Form der systematischen Philosophie, die auf moralischen und ethischen Prinzipien beruhte. Er war stets bestrebt, den Spiritismus nicht als Aberglaube, sondern als eine neue wissenschaftliche Disziplin darzustellen, die die Existenz von Geistern und das Leben nach dem Tod erklärte.
Die Geistwesen offenbarten ihm auch, dass er die Reinkarnation des Druiden Allan Kardec sei, weshalb er sich fortan so nannte. Und sie baten ihn, ein Buch mit ihren Antworten zu veröffentlichen. Das Buch der Geister umfasste mehr als tausend Fragen über die Natur der Geistwesen, der Geisterwelt, der Beziehung zwischen der Geisterwelt und der unsrigen und deren angeblichen Antworten. Es wurde zu einem wesentlichen Werk über den Spiritismus. Später folgten weitere Bücher, wie Das Buch der Medien, Das Evangelium im Lichte des Spiritismus, Himmel und Hölle oder Genesis, und er gab sogar eine Zeitschrift, die Revue Spirite, heraus.
Nach Kardecs Lehre sei das Universum, welches Materielles und Spirituelles beinhalte, von einem höchsten Geist namens „Gott“ geschaffen. Das Geistige sei unabhängig vom Materiellen, es gehe der Schöpfung der materiellen Welt voran und es überdauere ihr Ende. Eine zentrale Idee darin ist auch die Seelenwanderung. Die Geister sollen in zwei Zuständen, inkarniert und nicht inkarniert, leben. Sie seien als unwissend erschaffen worden und bedürfen einer stufenweisen geistig-moralischen Entwicklung. Im inkarnierten Zustand könnten sie diese Entwicklung besser durchführen als im nicht inkarnierten, da sie auf die Erinnerungen an vorherige Inkarnationen zugreifen könnten. Beim Aufstieg der unteren Geister würden erfahrenere Geister, wie z. B. Jesus oder Schutzengel helfen. Für uns Menschen seien spiritistische Sitzungen das Mittel der Wahl zur geistigen Entwicklung – wer hätte das nicht gedacht?
Die katholische Kirche verurteilte den Kardecismus als gefährlich und häretisch und sah darin eine Gefahr für die katholische Glaubensgemeinschaft. Kardecs Ideen seien eine Täuschung und könnten Menschen von der Kirche abbringen. Sie veröffentlichte verschiedene Gegenschriften, die den Kardecismus als Irrlehre bezeichneten und davor warnten, spiritistische Sitzungen zu besuchen oder Kardecs Bücher zu lesen. Die Kirche kritisierte insbesondere die Ablehnung des Konzepts einer ewigen Hölle und die Idee der Reinkarnation, da sie diese als unvereinbar mit der katholischen Vorstellung des endgültigen Gerichts betrachtete.
1969, Kardec 1v (Copyright Unknown).
In der „Fach“literatur wird seine Abwendung vom Skeptizismus und seine Hinwendung zum Spiritismus als Bekehrung dargestellt. Seine Lehre öffnete weitere Türen für Lüge und Betrug. Seine Schriften wurden in dreißig Sprachen übersetzt, und der Kardecismus fand großen Anklang und überzeugte etliche namhafte Größen des gesellschaftlichen Lebens. In Brasilien entwickelte sich um ihn eine eigenständige Religion, in der auch viele pseudomedizinische Methoden praktiziert wurden, von welchen auch heute noch viele im staatlichen Gesundheitssystem ihren Platz haben. Es wurde sogar eine Vereinigung brasilianischer Ärzte, die Associação Médico Espírita Brasil, gegründet, die Kardecs Lehren folgt. Um die vier Millionen Brasilianer*innen bezeichnen sich als Spiritist*innen und glauben, dass man, bzw. sein*ihr Geist sich im Jenseits vervollkommnen würde. 1969 wurde sogar eine brasilianische Briefmarke mit Kardecs Konterfei veröffentlicht.
Obwohl der Spiritismus viel älter ist, ist Kardec ist als ein Gründer des Spiritismus in einer umfassenderen Weise zu verstehen. Er lieferte eine systematische Theorie und gab der Bewegung eine stabile Grundlage, die bis heute Einfluss hat. Besonders in Ländern wie Brasilien, wo Kardecs Spiritismus Teil der Kultur und Religion ist, hat er einen nachhaltigen und tiefgreifenden Einfluss auf das spirituelle Denken und die Praxis. Es bleibt noch zu sagen, dass Allan Kardec eines Tages C. F. Samuel Hahnemann (1755 – 1843), dem Erfinder der Homöopathie, erschienen ist.
Roeder, E. „Alles wird zu Religion: Glaube und Religion in Brasilien.“ Bundeszentrale für politische Bildung, 30.5.2014, https://www.bpb.de/themen/mittel-suedamerika/brasilien/gesellschaft/185297/alles-wird-zu-religion.
„Spiritualism.“ RationalWiki, 2018, https://rationalwiki.org/wiki/Spiritualism.
„Kardecismus.“ Psiram, 2018, https://www.psiram.com/de/index.php/Kardecismus.
Waschkau, A. & Waschkau, A. „Folge 230: Die Fox-Schwestern.“ Hoaxilla Podcast, 31.5.2019, https://hoaxilla.com/hoaxilla-230-die-fox-schwestern.
Waschkau, A. & Waschkau, A. „Folge 311: Allan Kardec.“ Hoaxilla Podcast, 23.1.2023, https://hoaxilla.com/hoaxilla-311-allan-kardec.
„Informationsnetzwerk Homöopathie (INH).“ INH, 2024, http://www.netzwerk-homoeopathie.eu.
Jachan, M. „Paranormale Behauptungen auf dem Prüfstand – Von Wünschelruten, Elektrosmog und Parapsychologie.“ Springer, 2024, https://www.google.com/search?q=978-3-662-69898-3.