Im Buch Paranormale Behauptungen auf dem Prüfstand – Von Wünschelruten, Elektrosmog und Parapsychologie (https://www.google.com/search?q=978-3-662-69898-3) erzähle ich einige Anekdoten aus der Welt des Spiritismus, der im 19. Jahrhundert boomte. Für etliche Anekdoten war jedoch kein Platz mehr im Buch, weswegen ich sie hier präsentieren werde. Um das große Geheimnis gleich vorweg zu verraten: Kein einziges spiritistisches Medium konnte je einen rigorosen Test bestehen.
Der britische Naturforscher Michael Faraday (1791 – 1867), der die elektromagnetische Induktion entdeckte und damit den Grundstein für die Elektrifizierung unserer Welt legte, beschäftigte sich auch mit dem Spiritismus. Doch er glaubte nicht daran, er stand übernatürlichen Phänomenen skeptisch gegenüber. Obwohl er in einer Zeit lebte, in der der Glaube an viele Formen des Okkulten wuchs, blieb Faraday ein Verfechter der wissenschaftlichen Methode. Seinerzeit verstand man unter der wissenschaftlichen Methode einen auf empirischen Beobachtungen und Experimenten basierenden Ansatz, der durch induktives und theoriegestütztes Denken unterstützt wurde. Die enge Verknüpfung von Theorie und Experiment, die Betonung der Reproduzierbarkeit und die Abkehr von rein spekulativen Ansätzen kennzeichneten den wissenschaftlichen Fortschritt in dieser Ära. Außerdem zeigen die Ingenieurswunder, die seit Faraday möglich sind, dass man in der Theorie und der Praxis etwas richtig gemacht hat.
Equipment developed by Michael Faraday to explain the ideomotor effect on turning tables. The Illustrated London News, July 16, 1853, page 35 (Public Domain).
Ein konkretes Beispiel seiner Skepsis war seine Untersuchung des Tischrückens. Faraday war der Ansicht, dass die Bewegungen des Tisches nicht durch Geister oder übernatürliche Kräfte verursacht wurden, sondern durch unbewusste Muskelbewegungen der Teilnehmer*innen. Dieses Phänomen wurde später als „ideomotorischer Effekt“ bekannt. Mehr darüber ist in meinem Buch zu erfahren.
Robert Hare (Public Domain).
Der amerikanische Chemiker Robert Hare (1781 – 1858) war ursprünglich ein renommierter Wissenschaftler. Er erfand den Knallgasbrenner, mit dem es ihm möglich wurde, Platin zu schmelzen. Frühere Versuche, Platin von anderen Metallen zu trennen, waren aufgrund des hohen Schmelzpunkts von 1768° und seiner chemischen Widerstandsfähigkeit schwierig. Ein Verfahren, das in den späten 1700er Jahren angewendet wurde, war die Amalgamierung. Hierbei wurde das unreine Platin mit Quecksilber verbunden, das dann verdampft wurde und das reine Metall zurückließ. Diese Methode war jedoch nicht besonders effizient.
Anfangs war Hare ein Skeptiker wie Faraday, der im Versuch die Unhaltbarkeit des Spiritismus zu beweisen trachtete, indem er ebenfalls technische Apparate baute. Hare hatte erkannt, dass viele spiritistische Phänomene durch den ideomotorischen Effekt verursacht wurden. Um dies zu verhindern, entwickelte er im Alter von 72 das sogenannte „Spiritoskop“, das die feinen Bewegungen der Hände und Füße der Medien mit Hebelmechanismen und Waagen detektierte, um Betrug bei Séancen aufzudecken. Seine wirksamste Idee bestand darin, eine Scheibe mit den Buchstaben des Alphabets, mit denen die Geister mit den Anwesenden kommunizieren sollten, an einer Stelle anzubringen, die für das Medium nicht sichtbar war. Auf diese Weise, so argumentierte Hare, hätte das Medium keine Kontrolle über die übermittelte Botschaft, wodurch der*die Experimentator*in empirische Beweise für die Geisterkommunikation sammeln könne.
Hare hat sich darauf spezialisiert, Betrug bei Séancen aufzudecken. Durch den Einsatz des Spiritoskops kam er jedoch zu dem Schluss, dass er eindeutige Beweise für die Kommunikation mit Geistern sammeln konnte. 1855 veröffentlichte er das Buch Experimental Investigation of the Spirit Manifestations, in dem er seine Experimente und seine Überzeugung von der Echtheit spiritistischer Phänomene darlegte. Darin erklärte er, wie er seine Experimente mithilfe des Spiritoskops und anderer Geräte durchführte und wie er zu dem Schluss kam, dass es tatsächlich möglich sei, mit den Toten zu kommunizieren. Sein Buch fasst die Ergebnisse wie folgt zusammen: „Die Beweise können in verschiedenen Phasen betrachtet werden: Erstens solche, bei denen Klopfgeräusche oder andere Geräusche gemacht wurden, die nicht auf irgendeine sterbliche Macht zurückgeführt werden konnten; zweitens solche, bei denen Töne so gemacht wurden, dass sie Buchstaben andeuteten, die grammatikalisch gut geschriebene Sätze bildeten, was beweist, dass sie unter der Führung eines rationalen Wesens standen; drittens solche, bei denen die Art der Kommunikation so war, dass sie bewies, dass das Wesen, das sie verursachte, in Übereinstimmung mit den begleitenden Behauptungen, ein Bekannter, Freund oder Verwandter des Forschers sein musste.“
Der Chemieprofessor der Universität von Pennsylvania bekehrte sich also zum Spiritismus, wie ein Artikel in der New York Times auf der Titelseite berichtete. Werfen wir nun einen Blick auf das Spiritoskop und auf ähnliche Konstruktionen.
PLATE I. Engraving and description of the apparatus, which, being contrived for the purpose of determining whether the manifestations attributed to spirits could be made without mortal aid, by deciding the question affirmatively, led to the author’s conversion (Gutenberg License).
Ein Herr Isaac T. Pease aus Thompsonville, Connecticut hatte zuvor bereits einen Apparat, den Pease’schen Scheibenapparat, zur Messung spiritueller Manifestationen vorgeschlagen. Es ist eine mechanische Vorrichtung mit einer Scheibe, auf der, ähnlich wie bei einem Ouija-Brett, Buchstaben, Zahlen oder andere Symbole aufgedruckt waren. Am Gerät befand sich ein Zeiger, der sich um die Scheibe drehen konnte, ähnlich wie bei einer Uhr. Der Zeiger soll sich durch geistartige Kräfte bewegen, so die Hypothese, um Geisterbotschaften Buchstabe für Buchstabe anzuzeigen. Hare fügte zum Pease’schen Scheibenapparat ein Hebel- und Federsystem hinzu, welches Hand- und Fußbewegungen des Mediums während spiritistischer Sitzungen registrieren sollte, um die unbewusste oder bewusste Manipulation der Scheibe auszuschließen. Hares Ziel war es, eine möglichst neutrale Umgebung zu schaffen, in der menschliche Einflüsse minimiert und paranormale Aktivitäten objektiv gemessen werden konnten. Die Bewegungen sollten ausschließlich von den Geistern über das Medium, ohne Beteiligung von weiteren Sterblichen, initiiert werden; ich glaube, man nennt es einen Poltergeist, wenn er gänzlich ohne menschliche Hilfe, ohne Medium, arbeitet. Dies war seiner Meinung eine Methode, um eine klarere und systematischere Kommunikation zu ermöglichen, im Gegensatz zu den oft chaotischen und vagen Methoden des Tischrückens oder der Klopfzeichen.
Er hat das Spiritoskop entwickelt, gebaut und in seinen Experimenten benutzt. Die Anwendung dieses Gerätes hat ihn zum Spiritismus bekehrt. Aus heutiger Sicht mag das etwas lächerlich erscheinen, doch in der Mitte des 19. Jahrhunderts stellte es den momentanen Stand der Forschung dar. Er konzipierte drei weitere experimentelle Geräte zur Untersuchung spiritueller Phänomene.
PLATE II. Description of the instrument by which spirits were enabled to move a table under the influence of mediumship, yet in no wise under the control of the medium employed, even clairvoyance being nullified (Gutenberg License).
Die zweite von ihm konzipierte Apparatur besteht aus einer Kombination von Waagen und Hebeln, die darauf ausgelegt sind, beim Tischrücken eine direkte physische Interaktion durch das Medium zu verhindern. Das Ziel war es, die Authentizität von Geisterbewegungen zu testen, indem Bewegungen ohne erkennbaren menschlichen Einfluss aufgezeichnet wurden. Durch die Anwendung dieses Gerätes soll sogar die Hellsichtigkeit des Mediums ausgeschlossen werden. Es könnte ja sein, so Hare, wenn es keine Geister gibt, könnte es dennoch Hellsichtigkeit geben. Es ist unklar, ob er dieses Gerät wirklich gebaut und verwendet hat, aber er experimentierte auf jeden Fall mit ähnlichen Ideen und führte Untersuchungen bei Séancen durch.
PLATE III. A representation of an experiment, in which the medium was prevented from having any other communication with the apparatus, actuated under his mediumship, excepting through water. Yet under these circumstances the spring balance indicated the exertion of a force equal to 18 pounds (Gutenberg License).
Er baute noch ein drittes Gerät, um Experimente mit Tischrücken durchzuführen und zu untersuchen, ob die Bewegungen von Geistern oder von den Teilnehmer*innen der Séancen verursacht wurden. Das Besondere daran ist, dass das Medium daran gehindert wurde, mit dem von ihm betriebenen Apparat in irgendeiner anderen Weise in Verbindung zu treten, außer durch Wasser. Er meinte, dass dennoch eine Kraft von 18 Pfund auf die Federwaage übertragen wurde.
PLATE IV. (x) The apparatus of which the opposite cuts afford a representation are spiritoscopes, under modifications to which I resorted subsequently to the contrivance in which Pease’s dial is employed. For Pease’s “dial,” disks are substituted, resembling those originally employed by me, as represented in Plates I. and II. These last mentioned, however, were made to revolve under the index; while in Pease’s apparatus the index revolves, the disk remaining at rest. The advantage of having the disk to revolve is, that the letter is always to be looked for, within the same space; whereas in operating with the other the eye has to follow the index through all its rapid movements (Gutenberg License).
Eine vierte Ausführung, die wiederum den Pease’schen Scheibenapparat inkludierte, hat er wahrscheinlich nicht gebaut. Die Idee dahinter war, dass die Scheibe sich unter dem Zeiger dreht, während bei Peases Apparat der Zeiger sich dreht und die Scheibe in Ruhe bleibt. Der Vorteil, der sich drehenden Scheibe besteht darin, dass der Buchstabe immer an derselben Stelle zu suchen ist, während das Auge bei dem anderen Gerät dem Zeiger durch alle seine schnellen Bewegungen folgen muss.
Hare hat sogar eigene mediale Fähigkeiten entwickelt und wurde zu einer Berühmtheit in den Vereinigten Staaten.
Obwohl er versuchte, seine Gerätschaften als wissenschaftliche Instrumente darzustellen, wurde seine Arbeit von der wissenschaftlichen Gemeinschaft kritisch betrachtet und weitgehend abgelehnt. Seine Experimente wurden als unwissenschaftlich eingestuft, und viele seiner Behauptungen galten als unhaltbar. Seine Kolleg*innen, darunter auch prominente Wissenschaftler*innen, kritisierten seine Methoden und seine Schlussfolgerungen, da seine Experimente nicht den strengen Anforderungen der wissenschaftlichen Beweisführung genügten. Seine Resultate wurden als voreingenommen und unzuverlässig angesehen.
Faraday äußerte sich besonders skeptisch gegenüber Hares Versuchen, wissenschaftliche Instrumente wie das Spiritoskop zur Bestätigung spiritistischer Phänomene zu nutzen. Faraday selbst verfolgte mit viel einfacheren Geräten die Validierung einer viel weltlicheren Hypothese. Er hielt Hares Geräte und Methoden für fehlerhaft und war der Meinung, dass sie nicht die wissenschaftliche Strenge erfüllten, die notwendig sei, um solche außergewöhnlichen Behauptungen zu belegen. Seine Argumentation war, dass spiritistische Phänomene nicht durch zuverlässige wissenschaftliche Methoden untersucht worden seien und dass Geräte wie das Spiritoskop eher zur Bestätigung von Vorurteilen dienten, als objektiv zu beweisen, dass Geister real sind oder mit Menschen kommunizieren könnten.
Dem Schriftsteller und Spiritismusforscher Frank Podmore (1856 – 1910) zufolge hat Hare keine angemessenen Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die Bewegungen, die das Spiritoskop aufzeichnete, tatsächlich durch Geister und nicht durch das Medium oder andere äußere Faktoren verursacht wurden. Nach ihm wäre es für das Medium ein Leichtes gewesen, Knie oder andere Körperteile unerkannt zu bewegen, aber „Hare scheint die Möglichkeit eines derartigen Betrugs nicht erkannt zu haben.“ Podmore schrieb auch, dass „die Maschinerie in der Tat nicht schlecht erfunden war, aber ihre Verwendung entband nicht von der Notwendigkeit einer genauen und ständigen Beobachtung des menschlichen Agenten; und es gibt keinen Beweis dafür, dass Hare diese Notwendigkeit erkannte oder irgendwelche Schritte unternahm, um sich gegen Betrug zu schützen.“ Er sah in Hares Arbeit eine Bestätigung dafür, dass auch ein brillanter Wissenschaftler anfällig für Täuschung und Selbsttäuschung sein kann, besonders in einem Bereich wie dem Spiritismus, der stark emotional und subjektiv aufgeladen war. Doch spiritistisch gesinnte Forscher*innen waren von seinen Ansichten begeistert.
„Genius of Britain Episode 3.“ Channel 4, 2010, https://www.imdb.com/title/tt1673443.
„Michael Faraday (1791-1867).“ BBC, 2014, http://www.bbc.co.uk/history/historic_figures/faraday_michael.shtml.
Hong, J. „I Asked Psychics to Connect with My Non-Existent Dead Sister.“ VICE, 5.6.2015, https://www.vice.com/en_ca/article/vdxeqb/i-asked-psychics-to-connect-with-my-non-existent-dead-sister.
Sommer, A. „Robert Hare, the Spiritoscope, and Playfulness in Science.“ Science History Institute, 14.3.2016, https://www.forbiddenhistories.com/2016/03/robert-hare-natale.
Hare, R. „The Project Gutenberg eBook of Experimental Investigation of the Spirit Manifestations, by Robert Hare.“ Gutenberg.org, 28.12.2020, https://www.gutenberg.org/files/64160/64160-h/64160-h.htm.
„A Timeline of the History of Spiritualism.“ Spiritualism New Zealand, 2022, https://spiritualism.org.nz/wp-content/uploads/2022/02/A-Timeline-of-the-History-of-Spiritualism.pdf.
Jachan, M. „Paranormale Behauptungen auf dem Prüfstand – Von Wünschelruten, Elektrosmog und Parapsychologie.“ Springer, 2024, https://www.google.com/search?q=978-3-662-69898-3.