Die Geschichte der Autopsie

Wir wollen nachsehen, wie der Spiritismus unter der Annahme der Existenz von „Seelen“ bzw. „Geistern“ wahre Wunder vollbrachte bzw. vollbringen wollte. Es bestand lange kein Zweifel, dass jeder Mensch eine Seele hat, denn die kirchliche Obrigkeit, oder andere religiöse Besserwisser*innen, haben dem Menschen über Jahrtausende eingetrichtert, eine haben zu müssen. Begeben wir uns nun auf die Reise durch die Geschichte der Medizin, die den Körper an sich zu verstehen trachtet und auch die Seele zu lokalisieren versuchte.

Die Autopsie, auch als Obduktion bekannt, ist ein zentraler Bestandteil der medizinischen Forschung und der Rechtsmedizin. Sie ermöglicht es, die Ursachen von Todesfällen zu ermitteln und gibt wertvolle Einblicke in Krankheitsmechanismen. Das Analysieren bzw. Zerlegen eines menschlichen Leichnams ist auch für die Ausbildung von Mediziner*innen von zentraler Bedeutung. Die Wurzeln der Autopsie reichen bis in die Antike zurück.

Im alten Ägypten wurden bereits um 3000 v. u. Z. Leichname einbalsamiert. Diese Praxis diente zwar religiösen Traditionen, man hat dadurch aber auch anatomische Kenntnisse erlangt. Das Öffnen menschlicher Leichen zu reinen Forschungszwecken war zeitweise verboten, zeitweise erlaubt. Hippokrates von Kos (460 – 370 v. u. Z.) vermied die Leichenschau aus ethischen und religiösen Gründen noch. Doch berühmte Ärzte wie Herophilos von Chalkedon (325 – 255 v. u. Z.) und Erasistratos (305 – 250 v. u. Z.) sezierten menschliche Leichname und legten damit den Grundstein für die Anatomie als Wissenschaft in Europa. Der griechische Arzt und Anatom Galenos von Pergamon (ca. 129 – ca. 216), der vorwiegend in Rom tätig war, musste sich auf das Sezieren von Tieren stützen, um die menschliche Anatomie zu erforschen, denn während seiner Lebenszeit war das Sezieren von Menschen im Römischen Reich und in Griechenland weitgehend verboten. Im „dunklen“ Mittelalter Europas, als die Freiheit der Wissenschaft durch katholischen Totalitarismus sehr stark eingeschränkt war, wurde die Autopsie beinahe verunmöglicht. Die Kirche verbot die Leichenschau, da sie glaubte, dass der Körper für die „Auferstehung“ unversehrt bleiben müsse. Dies führte zu einem Rückschritt im Verständnis der menschlichen Anatomie und der Ursachen von Krankheiten. Während der Blütezeit der islamischen Medizin führten Gelehrte wie Rhazes (865 – 925) und Avicenna (980 – 1037) Studien über den menschlichen Körper durch, allerdings größtenteils ohne Leichensektion. Ihre Arbeiten basierten hauptsächlich auf den Schriften der Griechen. Doch auch in der islamischen Welt wurde es dunkel …

Andreas Vesalius, ein Pionier der neuzeitlichen Autopsie (Public Domain).

Andreas Vesalius, ein Pionier der neuzeitlichen Autopsie (Public Domain).

Die erste belegte legale Autopsie in Europa fand 1286 in Bologna statt. Mit der Renaissance im 15. Jahrhundert begann ein erneuter Aufschwung des Interesses an der menschlichen Anatomie. Leonardo da Vinci (1452 – 1519) fertigte detaillierte anatomische Zeichnungen an, die aus Leichensektionen gewonnen wurden. Seine Arbeiten bieten tiefe Einblicke in die Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers. Ärzte wie Andreas Vesalius (1514 – 1564) revolutionierten die Anatomie durch öffentliche Leichensektionen und die Veröffentlichung detaillierter anatomischer Zeichnungen. Vesalius’ Werk De humani corporis fabrica von 1543 gilt als Meilenstein in der Geschichte der Medizin. Er korrigiert viele Fehler der früheren anatomischen Lehren von Galenos und gilt als Begründer der modernen Anatomie. Die Leichenschau wurde zunehmend akzeptiert, und anatomische Theater in Städten wie Bologna und Padua ermöglichten es, die menschliche Anatomie vor Publikum zu demonstrieren.

René Descartes (1596 – 1650) ist vor allem als Philosoph und Mathematiker bekannt, aber er leistete auch wichtige Beiträge zur Anatomie und den frühen Neurowissenschaften. Er verband seine mechanistische Weltsicht mit der Funktionsweise des menschlichen Körpers. Seine Ansichten beeinflussten das medizinische Denken seiner Zeit, obwohl viele seiner anatomischen Hypothesen später widerlegt wurden. Die wichtigsten Beiträge von Descartes zur Anatomie lassen sich auf seine Erforschung des Gehirns, des Nervensystems und seine Theorien zu Körper und Seele zurückführen. Sein bekanntester Beitrag zur Philosophie und auch zur Anatomie ist sein Konzept des Dualismus. Er glaubte, dass der menschliche Körper eine Maschine sei, die nach mechanischen Prinzipien funktioniere, während der Geist oder die Seele eine vom Körper unabhängige, nicht-materielle Entität sei. Dies war eine wichtige Perspektive für die damalige Anatomie, da Descartes versuchte, biologische Funktionen im Einklang mit den physikalischen Gesetzen zu erklären. Im Gegensatz dazu sah Descartes den Geist bzw. die Seele als immateriell an, nicht gebunden an die physikalischen Gesetze. Der Geist war für Denken, Wahrnehmung und Bewusstsein verantwortlich.

Descartes’ Dualismus ist heute überholt. Dank der Fortschritte in den Neurowissenschaften, der Philosophie des Geistes und der Psychologie ist das heutige Verständnis materialistisch geprägt. Geistige Prozesse werden als Produkte physikalischer und biochemischer Vorgänge im Gehirn verstanden, und es gibt keinen wissenschaftlichen Bedarf für die Annahme einer „immateriellen Seele“ oder eines „unabhängigen Geistes“, welche vom Körper unabhängig wären. Oder in anderen Worten: Stirbt der Körper, so stirbt auch der Geist.

Anatomisches Theater der Universität Leiden, 1610 (Public Domain).

Anatomisches Theater der Universität Leiden, 1610 (Public Domain).

Im 17. Jahrhundert wurde die Autopsie zu einem wichtigen Bestandteil der medizinischen Ausbildung und die Leichenschau wurde in Europa zunehmend professionalisiert. In vielen Städten wurden anatomische Theater errichtet, in denen Leichensektionen öffentlich durchgeführt wurden. Universitäten in Europa begannen, die Leichenschau zu regulieren und Studenten praktische Erfahrungen zu ermöglichen. In dieser Zeit traten jedoch auch gesellschaftliche Probleme auf. Die Nachfrage nach Leichnamen überstieg das Angebot, was zu illegalem Leichendiebstahl führte. Die sogenannten Resurrectionists, die Leichen von Friedhöfen stahlen, um sie an Mediziner zu verkaufen, waren ein weit verbreitetes Phänomen.

Wien wurde im 18. Jahrhundert unter der Schirmherrschaft von Maria Theresia (1717 – 1780) ein bedeutendes Zentrum für die medizinische Wissenschaft und Anatomie, insbesondere für die Praxis des Sezierens. Sie führte 1749 Reformen im Medizinstudium ein, die die Bedeutung der praktischen Anatomie, also des Sezierens, stärkten. Ihr Sohn Kaiser Joseph II. (1741 – 1790) förderte den Aufbau moderner medizinischer Institutionen und setzte sich für Reformen im Gesundheitswesen ein. Er gründete mehrere Krankenhäuser, darunter das berühmte Allgemeine Krankenhaus in Wien (1784), das zu einem der größten und modernsten seiner Zeit wurde. Der Pathologe und Anatom Karl von Rokitansky (1804 – 1878) führte an die 30.000 Autopsien durch, womit er entscheidend zur modernen Pathologie beitrug, indem er so Krankheitsursachen untersuchte und systematisch dokumentierte. In Wien gab es zahlreiche Berichte über Medizinstudenten und Anatomen, die aktiv am Leichendiebstahl beteiligt waren. Auf den Armenfriedhöfen Wiens wurden häufig Leichen gestohlen, da die Begräbnisse dieser Menschen meist weniger überwacht wurden und die Gräber einfacher zugänglich waren. Ein bekanntes Beispiel für die Praxis der Leichendiebstähle war die Irrlehre der Phrenologie des Arztes Franz Joseph Gall (1758 – 1828); doch dazu mehr später. Der Arzt und Chirurg Johann A. Schmidt (1759 – 1809) wird oft in Zusammenhang mit der beschaffungsorientierten Anatomie des 18. Jahrhunderts genannt. Auch wenn es keine direkten Beweise gibt, dass er persönlich in Leichendiebstähle verwickelt war, so wurde in seinem Umfeld über diese Praxis gesprochen. Es war allgemein bekannt, dass er und andere Anatomen stets daran interessiert waren, Leichen zu bekommen, um den Fortschritt in der Anatomie voranzutreiben.

Idealised etching of Burke murdering Margaret Docherty (also known as Margery
Campbell) by Robert Seymour (Public Domain).

Idealised etching of Burke murdering Margaret Docherty (also known as Margery Campbell) by Robert Seymour (Public Domain).

Im frühen 19. Jahrhundert kam es in Edinburgh zu einer kuriosen Mordserie, um Leichen für die anatomische Forschung aktiv herzustellen. Diese sogenannten „West-Port-Morde“ ereigneten sich zwischen 1827 und 1828 in Edinburgh, und wurden von den berüchtigten aus Irland stammenden Leichendieben und Serienmördern William Burke und William Hare verübt. Die beiden ermordeten mindestens 16 Menschen, um ihre Leichen an Anatomen wie Robert Knox (1791 – 1862) zu verkaufen. Anatomieprofessoren waren auf eine konstante Versorgung mit frischen Leichen angewiesen, um ihre Studenten auszubilden.

Burke und Hare erkannten diese Nachfrage als lukrative Möglichkeit und begannen zunächst, Leichen auszugraben und verstorbene Bewohner*innen aus Hares Pension an Knox zu verkaufen. Schnell stellten sie fest, dass frische Leichen mehr einbrachten, und begannen, Menschen gezielt zu töten, um deren Körper an die Anatomie zu verkaufen. Ihre Opfer waren meist arme, ältere oder isolierte Menschen, die in Edinburghs Stadtteil West Port lebten. Die Opfer wurden zumeist überwältigt und durch Ersticken getötet, eine Methode, die als „Burking“ bekannt wurde. Sie hinterließ kaum sichtbaren Spuren, was für den Verkauf an die Anatomen vorteilhaft war. Burke und Hare lieferten die Leichen an Dr. Knox, der angeblich keine Fragen stellte. Die Mordserie wurde erst aufgedeckt, als die Leiche von Margaret Docherty, einem ihrer letzten Opfer, in der Pension gefunden wurde.

Hare kooperierte mit den Behörden und sagte gegen Burke aus, was ihm Immunität gewährte. Burke wurde verhaftet, zum Tode verurteilt und im Januar 1829 öffentlich am Halse aufgehängt, bis der Tod eintrat. Sein Körper wurde zur öffentlichen Dissektion freigegeben, als abschreckendes Beispiel für seine Verbrechen. Hares weiteres Schicksal bleibt im Dunkeln; es wird vermutet, dass er nach Irland floh. Dr. Knox, obwohl rechtlich nicht belangt, wurde wegen seiner Rolle in der Affäre gesellschaftlich geächtet. Die West-Port-Morde führten zur Verabschiedung des Anatomy Act von 1832, der den Handel mit Leichen besser regulierte und legale Quellen für anatomische Studien bereitstellte, um ähnliche Verbrechen in Zukunft zu verhindern.

Röntgens Laboratorium im ehemaligen Physikalischen Institut der Universität
Würzburg, 1895 (Public Domain).

Röntgens Laboratorium im ehemaligen Physikalischen Institut der Universität Würzburg, 1895 (Public Domain).

Wilhelm C. Röntgen (1845 – 1923) trug durch die Entdeckung der Röntgenstrahlen im Jahr 1895 erheblich zur Weiterentwicklung der medizinischen Diagnostik und auch zur Autopsie bei. Seine Entdeckung ermöglichte es, den menschlichen Körper auf völlig neue Weise zu untersuchen, indem man das Innere sichtbar machte, ohne den Körper öffnen zu müssen. Dies hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Autopsie, die Rechtsmedizin und die Medizin im Allgemeinen. Vor der Entdeckung der Röntgenstrahlen war eine Autopsie die einzige Möglichkeit, die inneren Organe, Knochen und Gewebe eines Leichnams direkt zu untersuchen. Dies bedeutet, dass in bestimmten Fällen eine Autopsie durch Röntgenaufnahmen ergänzt oder sogar teilweise ersetzt werden kann, insbesondere wenn es darum geht, Knochenbrüche, Fremdkörper oder innere Verletzungen zu identifizieren. Dies war besonders wichtig in Fällen von Gewalteinwirkung, Unfällen oder Misshandlungen, bei denen die genaue Ursache des Todes durch Röntgenaufnahmen aufgedeckt werden konnte.

Im 20. Jahrhundert wurde die Autopsie zunehmend von neuen Technologien unterstützt. Die Entwicklung von bildgebenden Verfahren wie der Computertomographie und der Magnetresonanztomographie führte zu weiteren nicht-invasiven Möglichkeiten der Untersuchung von Lebenden und Leichnamen. Dennoch bleibt die traditionelle Autopsie ein unverzichtbares Werkzeug, insbesondere zur Aufklärung von unklaren Todesursachen.

Lasst ich zum Abschluss als Skeptiker und Gegner aller Religionen noch sagen, dass man, seit man Leichname aufschneidet, weder eine Seele noch „Energie-Meridiane“, „Akupunktur-Punkte“ oder ähnliche Fantasieorgane gefunden hat.  
 
 
Niederer, A. „Leichenöffnung.“ NZZ, 1.3.2006, https://www.nzz.ch/articleDKL6X-ld.374216.
 
Gutjahr, M. „Folge 6: Die Mörderpuppen von Edinburgh.“ Das Geheime Kabinett Podcast, 21.9.2014, https://kabinett.uber.space/folge-6-die-moerderpuppen-von-edinburgh.
 
„Klenk+Reiter – Der FALTER-Podcast aus der Gerichtsmedizin.“ Der Falter, 2024, https://www.falter.at/podcasts/gerichtsmedizin.
 
„Körperspenden an die Forschung.“ Medizinische Universität Wien, 2024, https://www.meduniwien.ac.at/web/klinik-gesundheit/ambulanzen-services/koerperspenden-an-die-forschung.
 
„Pathological-anatomical collection in the Narrenturm.“ Natural History Museum Vienna, 2024, https://www.nhm-wien.ac.at/en/narrenturm.
 
Jachan, M. „Paranormale Behauptungen auf dem Prüfstand – Von Wünschelruten, Elektrosmog und Parapsychologie.“ Springer, 2024, https://www.google.com/search?q=978-3-662-69898-3.

Ein Gedanke zu „Die Geschichte der Autopsie“

  1. Heute ist eine weitere Folge von Klenk+Reiter erschienen, die dieses Thema behandelt.

    >>Diese Folge behandelt eine bedeutsame Epoche in der Geschichte Wiens: die Zeit der Aufklärung. Im späten 18. Jahrhundert begann der religiöse Glaube der Wissenschaft zu weichen. Zentral dafür war hierzulande der Arzt Johann Peter Frank. Ein vergessener Pionier, der nicht nur die moderne Gerichtsmedizin prägte, sondern auch unser gesamtes Gesundheitswesen reformierte.

    https://shows.acast.com/klenkreiter-der-falter-podcast-aus-der-gerichtsmedizin/episodes/die-revolution-des-johann-peter-frank-s04e05

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