Johann Zöllner und die vierte Dimension

Im Buch Paranormale Behauptungen auf dem Prüfstand – Von Wünschelruten, Elektrosmog und Parapsychologie (https://www.google.com/search?q=978-3-662-69898-3) erzähle ich einige Anekdoten aus der Welt des Spiritismus, der im 19. Jahrhundert boomte. Für etliche Anekdoten war jedoch kein Platz mehr im Buch, weswegen ich sie hier präsentieren werde. Um das große Geheimnis gleich vorweg zu verraten: Kein einziges spiritistisches Medium konnte je einen rigorosen Test bestehen.

Johann Karl Friedrich Zöllner (Public Domain).

Johann Karl Friedrich Zöllner (Public Domain).

Der deutsche Physiker und Astronom Johann K. Zöllner (1834 – 1882) forschte auf vielen Gebieten, wie Astrophysik, Optik, Elektromagnetismus und Philosophie. Und er interessierte sich auch für den Spiritismus. Eine seiner ungewöhnlicheren Theorien war die Idee einer vierten Dimension des Raumes, die er in Zusammenhang mit vorgeblich paranormalen Phänomenen brachte.

Das Astrophotometer ist ein historisches Messgerät zur photometrischen Bestimmung der
Helligkeit eines Himmelskörpers nach Karl Friedrich Zöllner (Public Domain).

Das Astrophotometer ist ein historisches Messgerät zur photometrischen Bestimmung der Helligkeit eines Himmelskörpers nach Karl Friedrich Zöllner (Public Domain).

In der Astronomie ist er bekannt für seine Arbeiten zur Messung der Helligkeit von Sternen. Dazu erfand er einen sogenannten Astrophotometer, womit er die Helligkeit von Sternen vergleichen konnte. Und er zerlegte das Licht von Sternen in seine spektralen Komponenten. Zöllner war auch in der Optik aktiv und beschäftigte sich mit der Lichtpolarisation, womit er beitrug, das Verständnis von Licht und seinen Eigenschaften zu vertiefen. Des Weiteren interessierte ihn die Bewegung von Himmelskörpern und untersuchte die Mechanik der Sonnenfinsternisse und anderer astronomischer Phänomene. Er beschäftigte sich auch mit dem Elektromagnetismus, insbesondere mit der Theorie und Praxis elektrischer und magnetischer Felder. Doch er war nicht nur an der empirischen Wissenschaft interessiert, sondern auch an deren theoretischen und philosophischen Grundlagen. Seine Arbeiten reflektierten oft ein tiefes Interesse an den Grenzen des Wissens und an der Frage, wie weit die wissenschaftliche Methode reichen kann, um die Natur der Realität zu erklären.

Henry Slade with Zöllner (Public Domain).

Henry Slade with Zöllner (Public Domain).

Als Wissenschaftler wollte Zöllner die vierte Dimension physikalisch beweisen. Damit wollte er versuchen, die Existenz von Geistern und spiritistischen Phänomenen zu erklären. Er versuchte so, wissenschaftliche Beweise für spiritistische Phänomene wie Psychokinese und Materialisationen zu finden. In Leipzig veranstaltete er spiritistische Séancen mit dem Medium, Trickbetrüger und Scharlatan Henry Slade (1836 – 1905), bei denen es zu Phänomenen, wie Münzen aus versiegelten Kisten zu entnehmen, Knoten an Schnüre zu binden und zwei Holzringe ineinander zu stecken hätte kommen sollen. Er gab vor, Kontakt zur vierten Dimension herstellen zu können. Bitte beachte: Wenn wir den Zugang zur vierten Raumdimension hätten, könnten wir nicht nur einen Knoten in einer Schnur lösen, ohne die Enden der Schnur durchziehen zu müssen, wir könnten auch die Hosen über den Kopf ausziehen! Das hat schon Dr. Sheldon Cooper auf der Bühne vorführen wollen, als er nicht mehr ganz nüchtern war.

Doch diese Forschungen Zöllners wurden von der wissenschaftlichen Gemeinschaft kontrovers diskutiert und führten zu teils heftigen Auseinandersetzungen. Er ließ auch Mitteilungen von Verstorbenen auf vorher untersuchten, nicht beschriebenen Schiefertafeln angeblich erschienen. Im 19. Jahrhundert schrieben Schulkinder mit Kreide auf kleinen Schiefertafeln, so kam es, dass damals das Schreiben auf Schiefertafeln ein Renner bei spiritistischen Sitzungen wurde. Seither schreiben Geister lieber auf Papier. Der Trick lief folgendermaßen ab: In einer Séance zeigte er eine unbeschriebene Schiefertafel vor, die er anschließend unter einer Tischplatte, fest an diese gedrückt, hielt. Anschließend wurde der Raum verdunkelt. Nach einer gewissen Zeit wurde die Tafel hervorgeholt und man sah einen handgeschriebenen Text auf der Seite der Tafel, die gegen die Unterseite der Tischplatte gehalten wurde. Und das, ohne dass er seine Hände im Spiel gehabt hat, wie es schien.

Doch Slade wurde davor schon in England vom britischen Uhrmacher und Magier John N. Maskelyne (1839 – 1917) in einem der berühmtesten englischen Gerichtsfälle entlarvt. Er konnte beweisen, dass Slade ein Kreidestück an einem Fingerhut befestigte, mit dem er die Schriften herstellen konnte. Maskelyne konnte den Trick sogar selbst vorführen. Slade bat Maskelyne nach dem Gerichtsverfahren angeblich sogar um seinen Trick, weil er besser als sein eigener war; man hörte Maskelynes Kreide im Dunkeln niemals kratzen.

Zöllner lud 1877 Wissenschaftler*innen, wie z. B. den Psychologen, Physiker und Naturphilosophen Gustav T. Fechner (1801 – 1887) und den Physiologen, Psychologen und Philosophen Wilhelm M. Wundt (1832 – 1920) zu den Séancen ein, um den Beweis, dass Geister in der vierten Dimension leben, zu demonstrieren. Doch die Beobachter*innen fanden die Ausführung der Experimente sehr unbefriedigend. Slade konnte die zwei Holzringe nicht ineinanderstecken, aber er vollbrachte es immerhin, sie auf ein Tischbein aufzufädeln. Außerdem ist anzumerken, dass die Geister in ihren Schriften typische Fehler eines Englischsprachigen, der Deutsch gelernt hat, machten. Ach ja, Slade kam aus den Vereinigten Staaten.

Krater Zöllner (links oben) und Kant (unten Mitte), aufgenommen von Apollo 16 (Public
Domain).

Krater Zöllner (links oben) und Kant (unten Mitte), aufgenommen von Apollo 16 (Public Domain).

Zöllner erntete viel Kritik, und er wurde sogar als geisteskrank bezeichnet, doch durch sein Wirken kam es zu einer Spiritismuswelle in Deutschland. 1879 wurde ein Bericht über Zöllners Experimente veröffentlicht, wodurch viele Wissenschaftler*innen in Deutschland darauf aufmerksam wurden. Wundt veröffentlichte eine Gegendarstellung, worin er erklärte, dass die Experimente und der Spiritismus als nicht wissenschaftlich angesehen werden können. Zöllner griff ihn wütend an und drohte ihm mit einer Klage. Er ging so weit zu behaupten, Wundt sei von bösen Geistern besessen. Um seine wissenschaftlichen Leistungen im Bereich der Astrophysik zu würdigen, wurde der Mondkrater Zöllner nach ihm benannt.  
 
 
Läuchli, P. „Die vertrackte 4. Dimension.“ ETH Zürich, 26.1.2009, https://ethz.ch/content/dam/ethz/main/eth-zurich/ArbeitenLehrenundForschen/professuren/ihre-professur/Emeritenstamm/090126_L\%C3\%A4uchli.pdf.
 
„Die 4. Dimension (Science Slam).“ WissensMagazin, 18.9.2012, https://www.youtube.com/watch?v=IcxxLp_Vqz8.
 
„Best Of The Big Bang Theory – Sheldon Betrunken GERMAN HD.“ RnR998, 8.1.2013, https://www.youtube.com/watch?v=pWO8UD8hXkc.
 
„Henry Slade.“ Zauber-Pedia.de, 2024, https://www.zauber-pedia.de/index.php?title=Henry_Slade.
 
Jachan, M. „Paranormale Behauptungen auf dem Prüfstand – Von Wünschelruten, Elektrosmog und Parapsychologie.“ Springer, 2024, https://www.google.com/search?q=978-3-662-69898-3.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..